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Titel
Wohnen im Kaiserreich. Einrichtungsstil und Möbeldesign im Kontext bürgerlicher Selbstrepräsentation


Autor(en)
Fünderich, Maren-Sophie
Erschienen
Anzahl Seiten
444 S.
Preis
€ 69,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Anne Sophie Overkamp, Seminar für Neuere Geschichte, Universität Tübingen

Während andere Industriezweige in der jetzigen Corona-Krise erhebliche Verluste hinnehmen müssen, geht es der deutsche Möbelindustrie weiterhin vergleichsweise gut – die vielen Stunden im eigenen Heim haben die Lust an einer neuen Wohnungseinrichtung bei vielen geweckt. Fragen nach bürgerlicher Selbstrepräsentation, die Maren-Sophie Fünderich in der hier zu besprechenden Dissertation beschäftigen, spielen dabei allerdings weniger eine Rolle; ja für uns heutzutage, so Fünderich, sei es kaum noch nachvollziehbar „welche große Bedeutung Wohnen und Einrichten als zentraler Teil der Selbstrepräsentation für die aufstrebenden bürgerlichen Mittelschichten hatte“ (S. 391). Ausgehend von dieser zentralen Bedeutung will sie zum einen Ergebnisse der nun schon etwas in die Jahre gekommene Bürgertumsforschung anhand eines empirischen Beispiels konkretisieren sowie zum anderen die Möglichkeiten bürgerlichen Konsums und bürgerlicher Repräsentation untersuchen. Der von Fünderich gewählte transdisziplinäre Ansatz, der Fragestellungen aus der Wirtschafts-, Sozial- und Technikgeschichte mit solchen aus der kunsthistorischen Möbelforschung zusammenzieht, stellt dabei vor allem die Frage nach der Verfügbarkeit von Waren in den Vordergrund, welche sich aus „Produktionsverfahren, Stilbildung und Marktmechanismen“ ergäbe (S. 14).

Auf die knappe Einleitung folgt ein kurzer Überblick über die Quellenlage. Hier verweist Fünderich vor allem auf die Schwierigkeiten, aussagekräftige Firmenarchive zu finden; stattdessen hat sie eine Vielzahl kleinerer Archivbestände in den beiden Regionen Westfalen und Hessen erschlossen, deren Möbelindustrien dann auch im Vordergrund stehen. Auf die in der Arbeit ausführlich genutzten zeitgenössischen Tischler- und Kunstzeitschriften sowie auf die vom Verein für Socialpolitik herausgegebenen Datensätze zu Lebenshaltungskosten in deutschen Großstädten kommt sie hier allerdings nicht näher zu sprechen. Generell ist die Arbeit in ihrer Quellenkritik recht sparsam, was vor allem bei der unkritischen Widergabe der Positionen Gustav Schmollers, Werner Sombarts und Karl Büchers auffällt, die als Zeitzeugen für bürgerliche Wohnverhältnisse genauso herhalten wie als Stichwortgeber des Kapitels zu „Handwerk, Verlag, Manufaktur und Fabrik als Betriebsformen“. Letzteres kommt im Übrigen ohne eine Diskussion zur Schule der Historischen Nationalökonomie oder den Hinweis auf den hierfür einschlägigen Band von Friedrich Lenger aus.1

Die Bürgertumsforschung und Forschungsansätze zum „bürgerlichen Wertehimmel“ fasst Fünderich im vierten Kapitel knapp anhand von Handbuchliteratur und Übersichtsdarstellungen zusammen. Darauf folgt ein Rückblick auf die ökonomische Haushaltsforschung, die für die Studie auch deshalb wichtig ist, weil Fünderich den von ihr so genannten „bürgerlichen Mittelstand“ vor allem anhand des verfügbaren Einkommens (etwa 3.000 bis 12.000 Mark Jahreseinkommen) abgrenzt: hierzu zählen der gehobene neue Mittelstand sowie die unteren beziehungsweise mittleren Schichten des Bildungs- und Wirtschaftsbürgertums. All diesen bürgerlichen Schichten war eigen, dass sie unter den Zwängen eines „gespaltenen Konsums“ (Toni Pierenkemper) operieren mussten, d.h. sie verfolgten auf der einen Seite mit ihrem Konsum Repräsentationszwecke, mussten die hierfür notwendigen Mittel aber beim Alltagskonsum einsparen.

Im fünften Kapitel steht die „Wohnung als Bühne“ im Vordergrund. Hier werden bürgerliche Inszenierungsstrategien, die Bedeutung des Wohnortes, typische Grundrisse bürgerlicher Wohnungen sowie generell Merkmale bürgerlichen Wohnens dargelegt. Etwas im luftleeren Raum bleiben die stilkritischen Untersuchungen ausgewählter Möbelstücke und Abbildungen von Zimmereinrichtungen, die wohl vor allem dazu dienen, der Kunstgeschichte die begrenzte Aussagekraft von Raum- und Möbelbeschreibungen vorzuführen. Substantieller sind die Ausführungen zu den Ausgaben und Ausstattungen der Wohnungen, an die sich schließlich die für die Arbeit zentrale Frage nach der Verfügbarkeit der Möbel anschließt.

Kapitel sechs behandelt die Produktionsabläufe in der Möbelherstellung und postuliert mit dem Übergang von der handwerklichen zur fabrikmäßigen Möbelproduktion eine grundlegende Veränderung. Diese These lässt sich jedoch für die Zeit des Kaiserreichs nur bedingt belegen und Fünderich weicht bezeichnenderweise auf einen anderen Hersteller, Thonet in Wien, aus, um die serielle Fertigung von Möbeln darzulegen. Für die Hersteller in Westfalen und Hessen kann sie allenfalls festhalten, dass die Betriebe sehr unterschiedlich auf die entstehende Serienmöbelfabrikation sowie auf den Einsatz von Maschinen reagiert hätten. Generell ließe sich aber ein Wandel von der Kundenproduktion zur Warenproduktion im Auftrag des Handels feststellen.

Handel und Markt stehen dann im Mittelpunkt des anschließenden Kapitels, das unter der Prämisse eines sich vergrößernden und verbilligenden Warenangebots steht. Hier wartet Fünderich zum einen mit statistischem Material auf – 1907 gab es im deutschen Kaiserreich insgesamt 5569 Gewerbebetriebe im Möbelhandel – unterlässt es aber, dieses genauer einzuordnen. Stattdessen stellt sie kurz zwei ausgewählte Möbelhäuser vor, Eduard Essen in Bielefeld und Helberger in Frankfurt/Main, bevor sie auf die vielen verschiedenen Betriebsformen des Möbelhandels zu sprechen kommt: Detailhandel, Möbelmagazin, Großmagazin sowie Kauf- und Warenhäuser. Für letztere waren vor allem die Dauerausstellungen moderner Wohnräume im Berliner Kaufhaus Wertheim richtungsweisend, die komplett möblierte Räume vorführten. Da über diese Ausstellung auch in Fachzeitschriften berichtet wurde, kann davon ausgegangen werden, dass sie auch über den Berliner Raum hinaus Einfluss hatten. Originell ist in diesem Kapitel der Abschnitt über das Kaufhaus der heutigen Bayer AG, die auf dem Werksgelände ihren Mitarbeitern ein eigenes Kaufhaus einrichtete. Hier wie auch in den von der C. Duisburg Prämienstiftung eingerichteten Musterwohnungen sollten die Mitarbeiter der Firma mit guten und schönen Möbeln und Ausstattungsstücken vertraut gemacht werden. Auch Messen und Ausstellungen werden in dem detailreichen Kapitel noch thematisiert. Gerade die Industrie- und Gewerbeausstellungen bzw. die sie begleitende Ausstellungskritik hält Fünderich für einen besonders guten Quellenbestand, um die „Entwicklung und Präsentation von Möbeln und Wohnungseinrichtungen nachzuvollziehen“ (S. 250).

Das achte und mit 120 Seiten umfangreichste Kapitel widmet sich schließlich der Stilentwicklung, die sich in einem Spannungsfeld zwischen Kundenwünschen und Geschmacksbildung befand. Denn der von der bürgerlichen Kundschaft seit der Jahrhundertmitte bevorzugte historistische Stil fand in den Augen des Kunstgewerbes wenig Gnade. Autoren wie Jakob Falke propagierten vielmehr seit den 1870er-Jahren einen schlichten, qualitätsvollen Stil, der Raum für den Ausdruck der eigenen Persönlichkeit ließe sowie auch in Mietwohnungen – der typischen Wohnform des bürgerlichen Mittelstandes – praktikabel sei. Der Geschmackserziehung des bürgerlichen Mittelstandes widmeten sich in der Folge zahlreiche Kunstzeitschriften und Wohnungsausstellungen wie auch kommerzielle Unternehmungen wie die Dresdner Werkstätten für Handwerkskunst. Auch Tischlerschule, Tischlerzeitschriften und Vorlagensammlungen für Handwerker wirkten auf Seiten der Hersteller an der Geschmackserziehung mit. Erst in den Jahren kurz vor dem Ersten Weltkrieg schienen diese ästhetischen Bildungsbemühungen aber Früchte zu tragen. Wie der kurze Ausblick zeigt, bedeutete letztlich die Wohnungs-, Platz- und Materialnot der Nachkriegsjahre den Durchbruch für einen schlichteren Stil mit beweglichen Möbeln, die an die Stelle der kompletten Stilgarnituren des Kaiserreichs traten.

Generell lässt sich festhalten, dass Fünderich von einem interessanten Ansatz ausgeht und eine große Fülle an Material zusammengetragen hat. Leider lässt die Arbeit jedoch eine gute Leserführung etwa in Form von präzisen Kapiteleinleitungen und -zusammenfassungen vermissen und erschöpft sich im Text vielfach in der reinen Ausbreitung des Quellenmaterials und der vielen zeitgenössischen Details, ohne diese auf die leitenden These hin zu präzisieren. Auch der nicht immer souveräne Umgang mit der Literatur, die teils mit drei oder vier Fußnoten in einem einzigen Satz belegt ist, sorgt dafür, dass ein eher durchwachsener Lektüreeindruck zurückbleibt.

Anmerkung:
1 Friedrich Lenger (Hrsg.), Handwerk, Hausindustrie und die historische Schule der Nationalökonomie. Wissenschafts- und gewerbegeschichtliche Perspektiven, Bielefeld 1998.

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